Wie ich zur Euthanasie in meiner Praxis stehe, wissen Sie, wenn Sie meinen ersten Artikel zu diesem Thema gelesen haben. Heute möchte ich Ihnen erzählen, wie es mir ergangen ist, als ich mein geliebtes Tier gehen lassen musste.
Es geht um mein Pferd, meine beste Freundin, die 27 Jahre für mich da war. Aber ich muss etwas früher anfangen: Als Kind bin ich viel mit Pferden zusammen gewesen, habe sie gepflegt und auch geritten. Die Pferde waren meine Freunde. Ich hatte zwar auch menschliche Freunde, aber ebenso viele Probleme in der Schule und außerhalb. Die Pferde waren eine feste Größe, gaben mir Halt. Mein größter Wunsch war ein eigenes Pferd. Natürlich konnten meine Eltern sich kein Pferd leisten. Doch mit 24 Jahren hatte ich einen Job und half einer Frau mit ihrem schwierigen Pferd. Es stellte sich heraus, dass das Pferd, eine junge Stute, eher Probleme mit ihrer Besitzerin hatte. Und schließlich handelte ich unbedacht und war kurzerhand im Besitz eines Pferdes – nein, von zwei Pferden, denn die Stute war tragend. So kam zwei Monate später ein Fohlen zur Welt, eine kleine Stute.
Natürlich sollte sie verkauft werden, denn zwei Pferde konnte ich mir nicht leisten. Doch sie war so niedlich und wir waren von Anfang an dicke Freunde. Ich zog sie auf, ich ritt sie zu und als es wirklich zur Entscheidung kam, dass ein Pferd wegmusste, trennte ich mich schließlich schweren Herzens von der Mutter. So blieben die kleine Stute und ich zusammen.
Wir haben so viel zusammen erlebt. Sie hat mich immer sicher durchs Leben getragen, wir haben Turniere gewonnen und viele Spaß-Veranstaltungen mitgemacht. Ich konnte ihr so sehr vertrauen, dass ich meine kleinen Kinder auf sie setzte, und mein Sohn gewann sein erstes Turnier mit ihr. Wenn in unserem Stall eine Prüfung war und ein Kind konnte sein Pferd nicht reiten, weil es wegen Nervosität bockig war, wer wurde dann geholt? Meine kleine Stute und sie trug jedes dieser Kinder sicher durch die Prüfung, auch wenn das Kind noch nie auf ihr gesessen hatte. Sie wusste schließlich, worauf es ankam. Jede schlimme Zeit – als ich alleinerziehend wurde, als ich meine beste Freundin verlor – stand sie mit mir durch. Sie gab mir Liebe und Trost.
Doch wie sollte es anders sein, meine kleine Stute wurde älter und krank. Mittlerweile hatten wir auch eine Tochter von ihr und mein Sohn kümmerte sich vorwiegend um unser kleines Mädchen, während ich ihre Tochter versorgte. Wir hatten wunderschöne drei Jahre zu viert, die wir fast ausschließlich in der Natur verbrachten. Und wir taten alles für das alte Mädchen, gaben ihr Medikamente und sorgten dafür, dass es ihr die drei Jahre noch richtig gut ging. Doch dann griff die Krankheit ihre Beine an. Wir massierten und bewegten, was das Zeug hielt. Ich holte verschiedene Kollegen und fuhr in eine Klinik, ob sie dort operiert werden konnte. Doch die Krankheit war ungewöhnlich und selten und niemand traute sich da ran.
Eines Tages dann wurde ich zum Stall gerufen, weil meine kleine Stute auf drei Beinen stand. Es brach mir das Herz, als ich sie so voller Schmerz dastehen sah. Wir holten sie aus dem Offenstall in eine Box und versorgten ihr Bein, das einen Tritt abgekommen hatte. Was aber nun deutlich wurde, war, dass die anderen drei Beine allein sie kaum tragen konnten. Die Krankheit hatten sie geschwächt. Nur alle vier Beine zusammen gaben ihr genug Halt. Das war ein kleiner Schock, denn es zeigte, wie weit ihre Krankheit bereits war. Ich fuhr täglich zu ihr und wusste, dass ich langsam darüber nachdenken musste, ob es Zeit wäre sie gehen zu lassen. Doch jedes Mal sträubte sich alles in mir dagegen. Wenn ich den Gedanken zuließ, schossen mir sofort die Tränen in die Augen und ich bekam keine Luft mehr.
Meinem Sohn erging es ähnlich und da er im Ausland studierte, konnte er nicht einmal bei seinem Mädchen sein. Wir sprachen oft. Mal erzählten wir uns, warum es noch nicht Zeit war, mal, warum doch. In dieser Zeit weinte ich sehr viel, konnte kaum noch fröhlich sein. Selbst vor meinen beiden kleinen Kindern konnte ich es nicht verbergen und die beiden litten furchtbar mit. Schließlich waren sie mit unserer kleinen Stute ausgewachsen. Und ich konnte mir schlicht nicht vorstellen, wie ein Leben ohne sie sein sollte. Ich machte mir Vorwürfe, dass ich zu wenig getan hatte und dass ich zu früh aufgab. Ich konnte sie einfach nicht loslassen.
Mein Sohn flog schließlich kurz entschlossen heim, um bei ihr und bei uns zu sein. Wir waren Stunde um Stunde bei unserem kleinen, alten Mädchen, machten erneut Videos und schickten sie versierten Kollegen, die aber auch nicht viel sagen konnten. Dann schließlich rief ich eine befreundete Tierärztin an, die auf Pferde spezialisiert ist. Sie kam sofort vorbei, um sich unsere kleine Stute anzuschauen. Ich bat sie, mir ihre ungeschminkte Meinung zu sagen. Sie brauchte nur einen Moment, um sich ein Bild meines kleinen Mädchens zu machen und als sie mich offen ansah, wusste ich, was sie dachte. Den Knoten im Hals kann ich kaum beschreiben als sie ruhig sagte: „Es ist Zeit; für sie ist es egal, ob Du sie heute gehen lässt oder noch 4 Wochen wartest. Nur für Dich nicht. Aber das wird nicht mehr besser. Ob es jetzt dieser Tritt ist oder der nächste: Deine Stute kann nur noch eingeschränkt laufen und hat sicherlich immer wieder Schmerzen. Schmerzmittel allein machen ihr Leben nicht mehr so, wie es für ein Pferd sein sollte.“
Danach musste ich immer wieder weinen und zögerte die Entscheidung ein paar Tage hinaus. Meinem Sohn ging es nicht besser. Aber die Worte meiner Freundin gingen uns nicht aus dem Kopf und wir wussten, dass wir es tun müssen – früher oder später. Und nach 1000 Tränen und ebenso vielen Entscheidungen hin und her beschlossen wir schließlich, es wirklich zu tun.
Meine Freundin war sofort bereit, für uns und unser kleines Mädchen da zu sein. Ich selbst hätte die Euthanasie natürlich niemals selbst machen können. Nun wollten wir aber – so traurig wir waren – nicht komplett abstürzen. Und die Gefahr bestand. Zudem waren wir der Meinung, unsere kleine Stute hätte es verdient. Deshalb haben wir jeden, der ihr nahestand, eingeladen und einige Flaschen Sekt mitgenommen. Wir waren zu acht und haben meine kleine Stute noch einmal richtig verwöhnt. Dabei haben wir ein Glas Sekt getrunken oder zwei. Ich war völlig fertig und gleichzeitig nahm ich mir vor, mich nicht unterkriegen zu lassen. Obwohl das nicht üblich ist, haben wir sie sediert und sie begleitet, bis es vorbei war. Sie ist sehr friedlich gegangen.
Das war einer der schwersten Tage meines Lebens und noch heute spüre ich jeden Tag das Loch, das meine kleine Stute in meinem Herzen hinterlassen hat. Wenn es ganz schlimm ist, höre ich das Lied, das mein Sohn und ich an dem Tag und immer gehört haben. Es drückt aus, was wir fühlen. Dann weine ich und danke im Herzen ganz doll meiner kleinen Stute.
Hier der Link zu "unserem Lied" auf Youtube:
https://www.youtube.com/watch?v=Y2NkuFIlLEo
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