Eine ganz normale Woche liegt hinter mir – eine Woche als Tierärztin – und Mutter von drei Kindern, also Pädagogin, Erzieherin, Fräulein Rottenmeier und Taxi-Fahrerin – und Praxismanagerin, also Laienbuchhalterin, Logistik-Managerin und Laien-Personalerin – und Hausfrau, als Köchin, Hausmeisterin, Terminplanerin und Putzfrau – und Ehefrau, also … 😊 – und Tochter von Eltern, die Unterstützung brauchen. Der normale Alltag, das normale Chaos, der normale Wahnsinn.
Und nun – endlich Urlaub. Doch ein großer Teil der Ansprüche bleibt. Runter kommen schwierig. Den Stress los lassen schwierig. Zum Glück bleibt immer Arbeit übrig – schließlich sind wir im Ferienhaus, nicht im Hotel. Wieder Haushalt, Wäsche und so weiter. Aber die absolute Stille wäre auch irgendwie nicht zu ertragen.
Dennoch das Ziel: Runterkommen, erholen, mit neuer Energie erneut in den Alltag starten. Schließlich wird das erwartet – von allen Seiten – nach 20 Jahren im Doppel-, nein Trippel-, nein … äh… Vielfach-Job. Aber wie soll das gehen? Immer wieder mal Anrufe aus der Praxis. Hier ein Problem, dort eine Frage. Die TFA an Corona erkrankt, die Azubine allein mit der Empfangsdame. Sie tun ihr Möglichstes. Doch die Chefin wird gebraucht. Macht nix….
Immer wieder Kunden-Anrufe – meist zu unsäglichen Stunden, wenn kein anderer Tierarzt mehr zu erreichen ist. Klar helfe ich – so gut ich kann. Immer, seit Jahren. Im Alltag kostet es viel Kraft, rund um die Uhr erreichbar zu sein. Mittlerweile habe ich auf Band gesprochen, dass mein Telefonservice außerhalb der Sprechstunden Geld kostet und nur für lebensbedrohliche Notfälle gedacht ist. Denn mittlerweile gibt es fast keinen Notdienst mehr in unserer Region. Niemand will 24/7 arbeiten. Angestellte Tierärzte sind schwer zu finden, der Job bringt kein Geld und oft mehr Stress als Spaß. Also rufen viele bei mir an. Der Spruch auf Band hilft, aber nicht immer. Ich mach das gern, weil ich denke, Menschen brauchen Rat bei Unsicherheit, ob ihr Tier ein Notfall ist. Aber ich mach das nicht kostenlos. Zu viele Jahre wurde die Notrufnummer ausgenutzt, weil jemand einen Termin vereinbaren will – für Montag. Oder weil jemand Montag arbeiten muss und Tierärzte ja eh immer erreichbar sind. Ne, sowieso klar!
Im Urlaub sind solche Anrufe unmöglich. Dennoch dieses Wochenende bereits drei Anrufe. Haben die Mädels vergessen, das Band neu zu besprechen? Bestimmt. Ein Anruf um ein Uhr nachts: „unsere Welpen haben Flöhe, was sollen wir tun?“ Ich denke: Echt jetzt? Bis Morgen warten? Um halb neun sind wir wieder da! Also die Mädels, denn ich habe Urlaub. Um sieben Uhr morgens ein Anruf: Meine Katze hat eine Wunde am Fuß. Auf dem Teppich ist ein wenig Blut, muss ich zum Notdienst? Ich versuche es mit Empathie. Das ist sicher kein lebensbedrohlicher Notfall. Aber die Menschen machen sich Sorgen. Ich kläre den Mann auf, dass die Katze bis Morgen überleben wird und erkläre dem Besitzer, dass der Anruf jetzt 40 Euro kostet. Er beschimpft mich und erklärt mir, dass er von seinem Tierarzt erwartet, dass solche telefonischen Beratungen kostenlos sind.
Ne, ist klar! Weil ich ja gern nachts telefoniere, anstatt zu schlafen. Weil ja arbeiten mein Lebenswerk ist. Ich kann nun nicht mehr einschlafen. Und ich weiß, dass der Kunde meine Rechnung nicht bezahlen wird. Mahnverfahren, Inkasso, das ganze Programm. Das alles kostet so viel Kraft. Nehme mir vor, morgen früh die Mädels zu erinnern, das Band neu zu besprechen – Notdienst aus, 100% Urlaub an. Hilf ein bisschen. Doch die Stammkunden kennen meine Handynummer. Und immer ist etwas ganz, ganz wichtig.
Nach einigen Tagen Urlaub sitze ich weinend im Garten des Ferienhauses. Ich habe nur noch wenige Tage Urlaub übrig. Ich fühle mich null erholt, weil die Unruhe meines Lebens mich nicht loslässt – und die Ansprüche der Menschen auch nicht. Ich habe 20 Jahre alles getan, um allen gerecht zu werden. Ich habe das Gefühl, ich schaffe es nicht mehr. Noch nie 100%, immer mit mir unzufrieden, immer perfektionistisch. Nun nur noch 80 %? Oder 60%? Ich versuche immer alles. Aber langsam brauche ich etwas Energie zurück. Nehme mir vor, den Preis für nächtliche Anrufe von 40 Euro auf 70 Euro zu erhöhen. Was kostet ein Burnout?
Bitte haben Sie Verständnis. Weil es anders einfach unmöglich ist.
Comentarios