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Ein harter Job?

Immer wieder bedauern Kunden mich, weil ich in meinem Job Tiere einschläfern muss. „Das muss wirklich hart sein,“ sagen sie oder „Das muss psychisch eine sehr große Belastung sein!“  Aber soll ich Ihnen was sagen: Das ist es gar nicht. Ich erlöse natürlich kein Tier gerne. Aber wenn ich es tue, dann weiß ich, dass ich damit dem Tier unabwendbares Leid und Qual erspare. Ich rede im Stillen mit dem Tier, erzähle ihm, dass sein Leid gleich vorbei ist. Und ich habe jedes Mal das ganz sichere Gefühl, dass ich etwas Gutes für das Tier tue.

Nein, wissen Sie, was wirklich eine große Belastung in meinem Job ist? Wenn man umsonst kämpft, wenn man ihnen einfach nicht mehr helfen kann – sogar, wenn man das Problem kennt. Manchmal ist es einfach unheilbar, manchmal besteht mehr als ein Problem, manchmal wäre der Leidensweg bis zur eventuellen Besserung nicht tragbar.  Und manchmal wissen die Besitzer nicht, wie krank ihr Tier wirklich ist und kommen einfach zu spät. So heute Nacht, als mich eine verzweifelte Besitzerin anrief, dass Ihre Katze seit 3 Stunden schwer atmet. Sie sei erst sechs Jahre alt und kerngesund. Noch nie hätte sie einen Tierarzt gebraucht, so die Besitzerin. Da eine Katze mit Atemproblemen meist ein hochakuter Notfall ist, ließ ich mir schnell ein Video des Tieres schicken und es war wie erwartet: Der Kater atmete schnell und flatternd in den Bauch. Er schien schlecht Luft zu bekommen und das wohl ja schon seit mehreren Stunden. Ich bestellte die Dame sofort in die Praxis und bereitete schon alles vor: Medikamente zur Beruhigung, Sauerstoff, ein Set, um eventuelle Flüssigkeit aus der Lunge abzupunktieren.



Als der Kater dann in die Praxis kam, schrie er unmenschlich laut. Seine Zunge zeigte bereits eine bläuliche Färbung, Das Abhören der Lunge nur ein knisterndes Rauschen. Ich vermutete eine unerkannte Herz- oder Lungenerkrankung, die zu Flüssigkeit in der Lunge geführt hatte. Aufgrund der schweren Atemnot war Eile geraten. Ich setzte die Besitzerin mit Sauerstoff vor das Katzerl, verabreichte diesem ein Beruhigungsmittel. Dennoch regte er sich mehr und mehr auf, dabei bekam er immer schlechter Luft. Deshalb entschloss ich mich, eine Not-Thorakozenthese durchzuführen, also die Flüssigkeit aus der Lunge abzupunktieren. Für lange Vorbereitungen war keine Zeit, also führte ich eine Injektionsnadel mit einer aufgesetzten Spritze zwischen der 7. Und 8. Rippe in die Lunge ein und aspirierte mehrere Milliliter Flüssigkeit. Leider setzte das Tierchen sich kräftig zur Wehr, so dass ich abbrechen musste. Dennoch sollte die nun etwas entlastete Lunge die Lage schon etwas verbessern. Leider war das aber zu spät. Trotz aller Mühe, 100%igen Sauerstoff und schneller Punktion schaffte es das Katerchen es nicht. Nur wenige Minuten nach Behandlungsbeginn verstarb er. Und sein Zustand verschlechterte sich in dieser Zeit schnell und dramatisch. Der Stress der hochgradigen Atemnot über mehrere Stunden war zuviel für seinen geschwächten Körper. Allein die Flüssigkeit im Brustraum machte es seinem Herzchen schwer, noch genug Raum und Kraft zum Schlagen zu haben. Ein hinterher angefertigtes Röntgenbild zeigte das ganze dramatische Ausmaß des Problems: Nur noch ca. ¼ des Brustraums zeigte die eingeengte Lunge. Der Rest bestand nur aus Flüssigkeit. Und auch ins Lungengewebe war bereits Flüssigkeit eingetreten. Das alles hatte nur wenige Minuten gedauert, aber es kam mir vor wie Stunden. Und ich war tief bedrückt über den Ausgang. Ich hätte so gern geholfen. Das ist hart, richtig hart. Ich war absolut machtlos…

 

Die Besitzerin verstand natürlich die Welt nicht mehr. Ihr kerngesunder Kater. Bis gestern hatte sie ihm nichts angemerkt und ganz plötzlich… Aber das ist natürlich ein Trugschluss. Leider bemerken Besitzer Atemnot oft ehr spät. Eine leicht erhöhte Atemfrequenz, eine leicht angestrengte Atmung - das fällt nicht auf. Und reinschauen kann natürlich auch niemand in sein Tier. Es ist ein häufiges Problem, dass Tierbesitzer denken, sie würden ihrem Tier rechtzeitig anmerken, wenn es ernsthaft erkrankt. Und das Katerchen war schon lange krank – vielleicht sogar von Geburt an. Doch der kleine Körper kann das lange wegstecken, sehr lange. Er „kompensiert“ seine Probleme, sagt man. Aber irgendwann ist es eben vorbei. Irgendwann bricht dieses erkrankte System zusammen und dann geht es sehr schnell.

Ich will hier nicht als Moralapostel auftreten, vielleicht hätte ich den Tod des noch jungen Katerchens auch bei früherer Diagnose nicht verhindern können. Aber dennoch: Eventuell wäre bei einer Routine-Untersuchung ein ungewöhnliches Atemgeräusch aufgefallen. Vielleicht hätte eine rechtzeitige Medikamentengabe das Tierchen  gerettet. Vielleicht hätte man ihm nur dieses grausame Ende ersparen können. Der Kater war noch nie beim Tierarzt. Und oft liest man im Netz, dass Tierärzte nur Geldschneider wären, die Unsinn erzählen, um die Leute in die Praxis zu locken. Aber glaubt mir: Eine jährliche Untersuchung kann Leben retten. Ihr schaut Euren Tieren nur vor den Kopf. Wir versuchen, so gut es geht hinter die Fassade zu schauen. Herz abhören, Bauch durchtasten, Lymphknoten abtasten, Zähne kontrollieren und alle paar Jahre mal eine Blutuntersuchung. Mehr braucht es nicht, um zu wissen, ob wirklich alles in Ordnung ist. Nur einmal im Jahr. Das sind wirklich gut angelegte 80 Euro.

Und jetzt, um ein Uhr nachts, sitze ich auf meinem Sofa und bin geknickt. Während ich diese soeben erlebte Geschichte aufschreibe, betrauere ich das arme Kerlchen, dem ich nicht helfen konnte. Morgen werde ich die drei Trauerkerzen in meiner Praxi für ihn entzünden und sie werden den ganzen Tag für ihn brennen. Und sie werden mein Herz trösten, das für jeden derart verlorenen Patienten weint. Sie sind es, die unseren Job manchmal zur Hölle machen: Die, für die wir umsonst kämpfen.

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