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Schmerz - total unterbewertet!

Als Tierärztin habe ich täglich mit Schmerzen bei Haustieren zu tun. Und glauben Sie mir, ich weiß wovon ich rede. Ich selbst habe eine Art Rheuma und leide ab und an den verschiedensten Arten von Schmerz – ob im Fuß, im Rücken oder in der Schulter. Zudem habe ich ein wirklich kaputtes Knie, das ab und an auch echt schmerzhaft ist.

Doch ich führe mein eigenes Geschäft. Ich treffe täglich viele Kunden mit ihren Tieren und muss mein Bestes geben. Und was meinen Sie: Merken die Kunden, wie schlecht es mir ab und an wirklich geht? Vergessen Sie es. Ich bin über die Jahre eine wirklich gute Schauspielerin geworden. Ich bin fröhlich, Energie geladen, freundlich, interessiert und engagiert. Dabei möchte ich manchmal einfach nur zusammen brechen, mich unter meiner Bettdecke verstecken und weinen. Aber wie unprofessionell wäre es denn, das nach außen zu tragen? Leidendes Gesicht? Jammern vor den Kunden? Allein die Vorstellung! Naja, zum Glück gibt es Adrenalin. Das ist wirklich ein geiles Zeug. Einmal im Run lässt es einen einiges vergessen. Und dann kommt der Schmerz eben erst wieder, wenn man abends auf dem Sofa sitzt und zur Ruhe kommt. Das kennen Sie? Als Sie mal verletzt waren und dann zur Ruhe kamen? Cool, dann wissen Sie ja wovon ich rede.

Aber eigentlich rede ich heute gar nicht über mich, sondern über unsere Patienten und ihre Besitzer. So wie die Tierbesitzer meinen Schmerz nicht bemerken, geht es ihnen auch leider mit ihren Tieren. Wie ist das bei Ihnen? Ach so, Sie sind sicher, Sie sehen Ihrem Hund an, wenn er Schmerzen hat? Hunde haben dann ein Schmerzgesicht? Oder Katzen? Vergessen Sie es…

Ich möchte Sie nicht frustrieren, aber wenn Sie mich fragen, ist das Bullshit. Es gibt mit Sicherheit so etwas wie ein Schmerzgesicht bei Tieren – und ebenso viele Beschreibungen desselben im Netz. Aber ich arbeite seit 18 Jahren als Tierärztin und ich habe noch nie gedacht, wenn ein Hund meine Praxis betrat: „Oh, der hat aber ein Schmerzgesicht.“ Ich habe auch noch nie eine Katze mit argen Zahnproblemen gesehen und gedacht: „Ja, dafür hätte ich gar nicht in Maul schauen müssen, die hat ja so ein Schmerzgesicht.“ Leider sind unsere Tiere nicht so. Sie sagen uns nicht, wenn etwas weh tut. Sie können das nämlich nicht. Ich habe ernsthaft Hundebesitzer in der Praxis, deren Hund auf drei Beinen den Praxisraum betritt und sie versichern mit: „Nein, er hat keine Schmerzen, er hat noch nie aufgejault oder gewinselt.“ Echt jetzt? Vielleicht hätte er noch auf das kaputte Knie zeigen und ein Schmerzgesicht ziehen sollen?

Okay, vielleicht war das jetzt etwas gemein. Aber Tiere zeigen instinktiv keinen Schmerz. Das ist ihre Natur, denn das sichert ihr Überleben. Und besonders unter Adrenalin können Tiere mit gebrochenen Beinen laufen als wäre nichts. Wie viel einfacher wäre es für den Löwen, die Gazelle zu fressen, wenn sie sich heulend an den Rand des Trampelpfads setzen würde. Zum Glück ist es nicht so. Nicht in der Natur und auch nicht bei unseren Katzen, Hunden, Pferden, Mäusen, Kaninchen und so weiter.

Das ist jetzt an sich auch kein Problem. Schließlich gibt es uns Tierärzte und auch wenn ich gestehen muss, dass ich kein Schmerzgesicht erkenne, so kann ich gut einschätzen, wann ein Tier Schmerzen hat und wann nicht. Das ist mein Job, das mache ich Tag für Tag. Und dabei ist es sehr erstaunlich, wie unglaublich naiv und auch misstrauisch die Menschen sind. Ich gebe Ihnen mal ein paar Beispiele:

Da war die Besitzerin dem teuren, sechs Monate alten Russisch Blau Kater, der das erste (und letzte) Mal zu uns kam. Der Kater lief seit vier (!) Wochen auf drei Beinen. Aber da die Anschaffung so teuer war, wollte die Besitzerin nicht zum Tierarzt gehen. „Das geht schon von alleine weg“, dachte sie. Weit gefehlt, denn der arme Kater ist 4 Wochen mit einem gebrochenen Oberschenkelknochen herum gelaufen. („Der hat auch ganz normal mit meinen Kindern gespielt“, sagte sie noch. Ich möchte mir den Schmerz gar nicht vorstellen.)

Dann gab es da den Hund – ich werde es nie vergessen – der aus Rumänien kam. Sein Vorderbein war verkrüppelt – vermutlich durch ein Trauma. Ab dem „Knie“ quasi war das Knie seitlich abgeknickt und wurde nicht benutzt. Soweit okay, denn auch mit drei Beinen kann ein Hund gut laufen. Allerdings hatte dieser Hund zudem noch das Problem, dass er hinten auf der gegenüberliegenden Seite stark lahmte. Die Ursache war unbekannt, denn der Hund gehörte eine Tierschutzorganisation, die ihn schon in diesem Zustand eingeflogen hatte. Es wäre aber auch zu teuer, die Ursache zu finden. Fakt ist aber: Der Arme Hund lief quasi auf zwei Beinen, denn das eine war nicht zu gebrauchen und das zweite so schmerzhaft, dass er es nicht gebrauchen wollte. Ich fragte also die Dame von der Pflegestelle: „Welches Schmerzmittel bekommt er denn?“ Bei der Antwort fiel mir fast die Kinnlade herunter: „Er bekommt keins. Wir haben es mal versucht, aber damit lief er auch nicht besser“, sagte die Dame mit Inbrunst. Ich musste mich wirklich bremsen, um nicht zu fragen: „Was haben Sie erwartet? Dass er schneller auf zwei Beinen läuft? Oder fröhlicher (ohne Schmerzgesicht)?“ Wie auch immer: Der arme Hund bekam also kein Schmerzmittel, weil die Besitzer nicht gesehen haben, dass es ihn erleichtert. Mir fehlen die Worte.

Oder auch nicht, denn da war ja noch die Katze mit den multiplen Löchern in den mit Zahnstein überwucherten Zähnen. Ein Glanzbeispiel für menschliche Naivität. Bei dieser Erkrankung  - der sogenannten FORL – lösen sich die Zähne quasi auf. Die Wurzelkanäle liegen frei und man weiß, dass das hochgradig schmerzhaft ist. Jeder, der wie ich Angst vor Zahnärzten hat, weiß, wie weh ein kleines Loch im Zahn sein kann. Wie wäre es denn mit fünf Löchern? Oder sechs? Oder einem abgebrochenen Zahn mit freiliegender Wurzelhöhle? „Aber sie frisst ganz normal“, lautet die Antwort fast jedes Mal. Ich weiß nicht, ob Sie es wussten, aber ohne Fressen stirbt eine Katze. Es ist ihre Natur zu fressen. Und zwar genau so lange, bis gar nichts mehr geht. Und das liegt nahezu nie an den Zähnen. Oder ganz klar formuliert: Katze fressen bei Zahnschmerzen ganz normal weiter. Sie jaulen und maunzen nicht und sie binden sich kein Tuch um den Kopf. Und es ist gar nicht schlimm, dass Sie das nicht wissen – dafür bin ich ja da. Schlimm ist, dass viele Besitzer mir einfach nicht glauben, wenn ich ihnen das sage. Ja, eine ordentliche Operation dieser Zahnerkrankung kann in die 1000 Euro oder darüber gehen. Aber es ist wichtig und nötig, die Zähne zu sanieren und der Katze den Schmerz wieder zu nehmen.

Und so kann ich stundenlang weiter machen. Mit dem Hund, dessen Rücken ganz krumm vor Arthrose war und beim Bein heben immer umfiel – was die Besitzer lustig fanden. Aber Schmerz? Nein, sicher nicht.  Mit der Scottish Fold Katze, deren Knochen hochgradig verwachsen waren oder der Hündin, die beide Hüften wegen hochgradiger Hüftdysplasie luxiert hatte. „Sie frisst aber noch und meine Tierheilpraktikerin hat gesagt, so lange muss ich sie nicht gehen lassen.“ Uff.

Das alles klingt alles zu sehr nach Moralpredigt? Mag sein, aber was es in Wirklichkeit ist, ist meine persönliche Verzweiflung. Es zerreißt mir schlichtweg das Herz, wenn ich diese Tiere sehe. Das macht mir meinen Job psychisch schwierig: Uneinsichtige Besitzer, die ihrem Tier das Schmerzmittel verwehren, weil sie keinen Unterschied sehen. Die allgemeine Meinung scheint also zu sein, dass ein Schmerzmittel nur dann den Schmerz erleichtert, wenn der Besitzer des Tieres auch wirklich sieht, dass das Schmerzmittel die Beweglichkeit des Hundes verbessert – ob er nun zwei oder 15 Jahre alt ist.

Das ist falsch! Ein Schmerzmittel erleichtert. Und wenn das Schmerzmittel nicht reicht, dann suchen wir ein anderes für Ihr Tier. Aber dafür müsst Ihr uns vertrauen. Ihr müsst uns glauben, wenn wir sagen, dass Euer Hund oder Eure Katze, das Kaninchen oder der Hamster Schmerzen hat. Gantz gegen den Ruf, der in vielen einschlägigen Onlineforen verbreitet wird, möchten wir Euch nicht nur das Geld aus der Tasche ziehen, sondern vor allem Euren Tier helfen. Ja, und damit verdienen wir unser Geld. Sorry dafür, aber einen anderen Job haben wir nicht. Deshalb lügen wir Euch noch lange nicht an. Also: Bitte vertraut uns und lasst Euer Tier nicht Schmerzen leiden!



 
 
 

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