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AutorenbildAnne Grunder

Einschläfern - der geplante Tod Teil 1

Wie auch immer man es ausdrückt: Einschläfern, der letzte Gang, das schmerzlose Erlösen, der geplante Tod, der Abschied, die Euthanasie, der große Verlust oder der unausweichliche Termin, es ist mir wichtig einmal für euch aus tierärztlicher Sicht auf dieses Thema zu blicken. Oft werde ich gefragt, ob so ein Termin überhaupt eine emotionale Komponente für mich hat oder ob dieser Moment einfach zu meinem Arbeitsleben dazu gehört? Tatsächlich gibt es keine einheitliche Gefühlslage, da jede Abschied aus einem Tierleben individuell ist. Patienten kommen im Notfall, sie werden zB nach der Arbeit von ihren Besitzern gefunden und kommen entweder mir ganz unbekannt oder mit einer Krankengeschichte zu mir in die Praxis. Dann muss ich in Sekunden entscheiden was zu tun ist und dabei sind viele Punkte zu beachten: - welche Erkrankung liegt dem Notfall zugrunde? - welche Behandlungen und weiterführende Untersuchungen könnten dem Patienten helfen, welche sind hier vor Ort und welche möchte und kann sich der Besitzer auch leisten? - welche Prognose hat diese Erkrankung (welche Kosten entstehen für wie viel Lebenszeit, welche Schmerzen muss der Patient erleiden, um wie viel länger und mit welchen Konsequenzen (Spätschäden) leben zu können)? - kann oder muss der Patient weiter überwiesen werden um seine Überlebenschancen zu erhöhen und ist sein Zustand überhaupt stabil genug um eine Fahrt zu überstehen? Und ist letztendlich auch, ob eine weiterführende Untersuchung tatsächlich ein vereinbarer Grund mit dem Weiterleben des Tieres ist. Ist der Eingriff vereinbar mit den derzeitigen Schmerzen bzw. Symptomen wie hochgradige Atemnot oder ähnlichem.

Zum anderen kommen die alten oder schon länger kranken Tiere mit ihren Besitzern zu mir und fragen um Rat für einen geplanten Tod, für die gerechtfertigte Entscheidung um loslassen zu können, zu dürfen oder auch zu müssen. Und das sind für mich die emotionalsten und schwersten Gespräche. Oft kenne ich die Tiere schon lange, habe Hochs und Tiefs der Krankheitsphasen begleitet, habe mit ihren Besitzern wahrscheinlich mehr als einmal besprochen, ob wir noch eine weitere Therapie ausprobieren, die eventuell gewonnene Zeit mit den bestehenden Symptomen überhaupt lebenswert wäre. Mehr als einmal habe ich versucht eine Lösung für verzweifelte Besitzer zu finden, die finanziell nicht in der Lage waren weitere Behandlungen in Anspruch zu nehmen. Ich biete meinen Besitzern in der Praxis an, sich montags und freitags zu melden, um die aktuelle Lage nach und vor dem Wochenende zu besprechen. Mein Gefühl sagt mir, dass das dabei hilft, sich auf das Unausweichliche so gut es geht vorzubereiten. Der Tag der Tage wird trotz allem ein schwerer werden und die Wochen danach unvorstellbar schmerzvoll für alle Familienmitglieder. Aber zumindest kann so alles getan und besprochen werden, um wenigsten für den Patienten einen geeigneten Zeitpunkt für den Abschied zu finden. Diese Gespräche sind für mich kräftezehrender und anstrengender als ihr als Besitzer denkt. Besitzern eine schlechte Nachricht zu überbringen ist generell eine Herausforderung, aber zum Einschläfern zu raten ist eine besonders schwierige Situation. Keiner von uns weiß, wie es dem Tier wirklich geht, auch ich kann nur auf meine Erfahrung von vergangenen Patienten zurückgreifen, bzw. mich auf die aktuelle Studienlage und am wichtigsten, auf mein Gefühl verlassen. Kein Krankheitsverlauf gleicht dem vorherigen, keine Geschichte der anderen und es gilt immer Fingerspitzengefühl zu beweisen, sich Zeit zu nehmen und genau die Krankenakte zu kennen. Am schwersten für mich ist es immer dann, wenn Besitzer sich nicht trauen hinzusehen, wenn sie Schmerzen und Leiden verdrängem, wenn ihnen der Abschied so schwer fällt, dass von ihnen ein leidvolles Sterben über Tage als normaler Verlauf am Ende des Lebens anstatt einem qualvollen Abschied auf Raten wahr genommen wird. Solche Gespräche gehen abends mit mir nach Hause und lassen mich nicht schlafen. Die Angst davor, dass die Tiere mehr Schmerzen als nötig erleiden müssen und nicht schmerzlos erlöst werden können, dass sich Besitzer nach den drängenden und aufklärenden Gesprächen nicht mehr melden und ich den Patienten nicht mehr helfen kann, sind ein ständiger Begleiter. Aber auch die Ungewissheit in den nächsten Tagen, an denen ich die Hunde oder Katzen für weitere Terminen in meiner Praxis betreuen darf und muss, obwohl ich weiß, dass sie unsagbares Leid aushalten, die Ungewissheit ob der Mut zur Entscheidung für das Einschläfern heute da sein wird oder ausbleibt. Beide Varianten lassen mich gedanklich oft rund um die Uhr nicht los und kosten Kraft. Jeder Patient der grundlos qualvoll verstorben ist, kommt mir wie ein Versagen in meinem Beruf vor, auch wenn ich natürlich weiß, dass das nicht stimmt. Ich kann nur beratend zur Seite stehen für die Entscheidung über den richtigen Zeitpunkt, um zu verhindern, dass die Besitzer zu lange zuschauen. Am Ende liegt diese Entscheidung aber beim Besitzer.

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