Es war Freitagnachmittag und eine wirklich „wilde Sprechstunde“, als eine Kundin mit einer lahmenden Katze im Behandlungsraum auf mich wartete. Die Vorgeschichte klang wie ein Routinefall: „Unsere Katze lahmt und es wird nicht besser.“
Im Behandlungszimmer erwartete mich dann ein gerade neun Monate altes, wunderschönes, sehr liebes British Kurzhaar Mädchen. Ich hob sie vorsichtig aus der Box und sah sofort das nutzlos an der Seite baumelndes Hinterbeinchen. Das Tier musste furchtbare Schmerzen haben. Doch es gab keinen Mucks von sich. Ich ahnte schon, was mich erwartete, doch ich hielt mich an die Lehre: stelle die Diagnose erst, wenn du sie auch sicher weißt. Also stellte ich erst einmal ein paar Routinefragen: „Wie lange lahmt sie denn schon.“ Ich weiß nicht, welche Antwort ich genau erwartet hatte, aber folgende sicher nicht: „Sie läuft seit vier Wochen so, aber wir dachten, das geht von selbst wieder weg.“
Ich muss die Dame ungläubig angeschaut haben und klang vielleicht auch nicht so superfreundlich, als ich fragte: „Sie schauen sich seit vier Wochen an, wie Ihre Katze auf drei Beinen läuft? Wieso sind sie nicht schon längst zu einem Tierarzt gegangen?“ Sofort ging die Dame in Verteidigungshaltung: „Naja, ich bin ja kein Tierarzt, woher hätte ich das wissen sollen?“
Ich muss zugeben, dass mich solche Situationen immer fassungslos machen. Natürlich ist ein Tierbesitzer kein Tierarzt, aber eine Katze, die mehrere Tage ein Bein nicht benutzen mag? Ernsthaft? Gern hätte ich ein paar passende Worte gesagt, doch damit wäre der Katze nicht geholfen gewesen. Also nahm ich mich zusammen und erklärte kurz, dass ich das Tier röntgen müsse. Gesagt, getan und wie erwartet: die Katze hatte sich den Oberschenkel gebrochen – zum Glück ein einfacher Bruch. Leider verheilt so etwas nicht von allein, sondern muss operiert werden. Der Grund ist, dass die schmalen Knochen nie übereinanderstehen, sondern unkontrolliert herumpendeln.
Ich erklärte der Dame also geduldig, dass die Katze operiert werden müsse. Eine Platte und ein paar Wochen Boxenruhe und der Schatz würde wieder rennen können wie zuvor. Doch die Dame unterbrach mich. „Wenn ich die Katze überhaupt operieren lassen möchte“, erklärte sie mir. „Natürlich lassen Sie sie operieren“, erwiderte ich etwas zu schnell „Was wollen Sie denn sonst tun? Ohne OP heilt das nicht.“ Auch wenn ich schon ahnte, worauf das hinauslaufen würde, für mich war die Sache klar. Für die Besitzerin wohl eher nicht. “Es ist ja meine Katze“, schnippte sie, „ich kann sie einschläfern lassen, wenn ich ihr eine schwere Operation nicht zumuten möchte.“
Natürlich, ich hatte es geahnt. Und die folgende Rede musste ich also schon einige Male halten. Sie geht in etwa so: Das Tierschutzgesetz sagt, dass ein Tier das Recht auf eine adäquate medizinische Versorgung hat. Sollte dem Tier nicht geholfen werden oder eine Behandlung den Zustand des Tieres nicht verbessern können, ist es erlaubt, ein Tier zu „erlösen“, um ihm vermeidbares Leid zu ersparen. Da steht nichts davon, dass ich frei über Leben und Tod meines Tieres entscheiden kann, wenn mir danach ist. Und ich als Tierarzt mache das schon gar nicht nach Belieben. Das könnte ich psychisch gar nicht.
Die Dame war nun nicht mehr ganz so forsch, als sie argumentierte: „Die Strapazen einer solchen OP sind ja wohl unnötiges Leid.“ Ich war nun ehrlich gesagt schon etwas voreingenommen gegen die Dame, ahnte, dass hier wohl ein finanzielles Problem Kern des Problems ist. In mir tanzten ein paar nicht so nette Worte, die gern raus wollten. Stattdessen aber erklärte ich ihr geduldig, dass das Gesetz so nicht gemeint ist und …. Sie wissen schon.
Am Ende rückte sie dann mit der Sprache raus: „Ich habe gerade drei dieser British-Kurzhaar-Katzen für meine Kinder gekauft – für jedes eine. Die haben zusammen 4500 Euro gekostet. Ich kann jetzt einfach keine teure OP mehr bezahlen.“ Sie weinte fast – ich hatte zugegebener Maßen wenig Mitleid.
Ich fragte noch ein wenig nach, ob sie nicht irgendeine Möglichkeit hätte, es war aber alles fruchtlos und so langsam wollte ich eher die Katze von ihrer Besitzerin befreien. Also sagte ich ihr, dass es noch eine andere Möglichkeit gäbe. Wir könnten die Katze übernehmen und dann operieren lassen, um sie weiter zu vermitteln.
Zum Glück zögerte die Dame kurz, dann aber willigte sie ein. Ich legte ihr eine Übernahme-Urkunde vor und während sie unterschrieb, erklärte sie, dass die Katze ja ihrem Sohn gehören würde, der jetzt sicher tottraurig wäre. Aber da könne man halt nichts machen. Ich nickte das nur ab und wollte die Dame gerne loswerden. Schließlich kam sie zum Schluss, bedankte sich und sagte zum Abschied: „Zum Glück hat ihre Schwester Kitten bekommen.
Die sollten wir eigentlich verkaufen, aber davon kriegt jetzt mein Sohn eine, dann ist ernicht mehr so traurig.“
Die Schwester-Katze? Mit neun Monaten? Klar, natürlich, warum wunderte ich mich überhaupt. Man bekommt ja 1500 Euro pro Kitten. Und dass die Dame jetzt emotional nicht wirklich an ihren Katzen hing, hatte ich schon bemerkt. Dennoch tat mir die geringe Wertstellung und Austauschbarkeit der Tiere für die Dame tief im Herzen leid. Doch ich ersparte mir einen Kommentar.
Ich war jetzt also im Besitz eines kleinen Kätzchens mit Beinbruch. Leider kann ich keine Frakturen operieren und Katzen habe ich auch bereits drei. Also galt es nun, eine Lösung zu finden. Ich hing mich ans Telefon, um einen Kollegen zu finden, der das Beinchen für mich möglichst kostengünstig operierte. Zum Glück fand sich ein netter Nachbarkollege, der das übernahm. Über die Kosten wollte er dann hinterher sprechen. Doch dieser Kollege verliebte sich gleich so in die Mietze, dass er sie behielt. Er ist bis heute sehr glücklich darüber und ich war schon etwas erleichtert.
Meiner Meinung nach sollte man solchen Menschen wie dieser Dame die Tierhaltung verbieten. Geht aber nicht. Und leider sind solche Geschichten nicht selten in unserem Job. Und schlimmer noch: Manche Menschen schauen sich wochen-, ja monatelang an, wie ihr Tier kränker und kränker wird, bevor sie zu uns kommen und dann können wir oft nicht mehr helfen. Zum Glück ist das selten. Nicht selten hingegen kostet ein Tier, das erkrankt, viel Geld oder braucht mehrere Jahre kostspielige Medikamente. Viele Menschen machen sich schlicht keine Gedanken darüber, dass die geschenkte kleine Bauernhofkatze, richtig teuer werden kann – besonders im Alter. Mehrere Hundert Euro kostet aber jede Katze in ihrem Leben und Hunde und Kaninchen und sogar manchmal Hamster. Deshalb hier erneut mein Rat: Eine OP-Versicherung und 30 Euro monatlich auf ein Extrakonto für unerwartete Tierarztkosten sind gut angelegt und dann klappts auch mit dem Tierarzt. :)
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