Das hat er erst seit ein paar Tagen
Das Telefon klingelt. Meine Assistentin geht dran und hört aufmerksam zu. Es ist ein Hundebesitzer, der berichtet, sein Hund hätte seit ein paar Tagen etwas unter dem Auge, aber nun würde es bluten. Er würde gern sofort kommen. Natürlich ist die Sprechstunde voll belegt, aber wir machen es möglich: der Herr bekommt einen Termin nach unserer Sprechstunde. Die Sprechstunde ist anstrengend, am Ende hänge ich 30 Minuten in der Zeit und dann kommt noch der „Notfall“. Ich sehe das süße Tierchen an. Ein etwas ruppig wirkender Terrier mit einem dicken Tumor unter dem Auge. Der Tumor ist offen und blutet tatsächlich. Mein Herz verkrampft sich, als der Hund versucht, sich den Tumor mit der Pfote wegzuwischen. Vorsichtig frage ich: „Das hat er jetzt … wie lange? Ein paar Tage?“ „Ja, offen ist es seit ein paar Tagen. Aber er geht ja auch immer dran. Sonst wäre es sicher nicht so schlimm.“ Am Ende kommt heraus, dass er die Zubildung schon seit einigen Wochen hat. Die Besitzer dachten aber, es geht von allein weg. Und doch, es ist schlimm. Denn es ist ein bösartiger Tumor. Aufgrund der Größe können wir ihn nun nur noch unvollständig entfernen. Wir tun, was wir können, aber 6 Monate später müssen wir den Schatz leider gehen lassen, da der Tumor bereits Nase und Auge beeinträchtigt.
Wir dachten, das heilt bestimmt!
Gleiches Jahr, Winter. Das Thermometer zeigt ungewöhnliche -9 Grad. In unserer Praxis ist es schön muckelig. Ich rufe die nächste Kundin auf. Vorbericht: Katze mit Wunde. Doch die Dame sitzt allein im Wartezimmer. „Wo ist denn Ihr Schatz?“, frage ich. Die Dame schaut betreten. „Die steht draußen“, sagt sie kleinlaut, „die stinkt so, das wollte ich Ihnen nicht antun.“ Ich finde heraus, dass die Katze eine Bisswunde hatte, die eiterte – vor sechs (!!!) Monaten. Die Wunde war schnell zu und die Besitzerin dachte, das ginge schon von allein weg. Doch die Wunde kam wieder, ging auf, eitere und… ging wieder zu. Die Besitzerin dachte… Und die Wunde kam wieder. Immer wieder. Nun aber kann die Kundin nicht mehr leugnen, dass ein Tierarztbesuch eine gute Idee ist.
Als wir das wirklich furchtbar stinkende Tier auf dem Tisch haben, offenbart sich uns eine Wunde, die sich über den ganzen Rücken zieht. Die Haut hängt nur noch in Fetzen, darunter das rohe Fleisch mit abgestorbenen Abschnitten und eitrigen Höhlen. Das arme Tier muss furchtbare Schmerzen haben –seit Monaten. Wir legen ihn in Narkose und versuchen, das abgestorbene und entzündete Gewebe zu entfernen. Wir schicken einen Bakterienabstrich ins Labor, das Tier bekommt eine Antibiose und natürlich Schmerzmittel. Den offenen Rücken decken wir mit Gewebe ab und verbinden ihn. Dem Tier geht es dann auch schnell besser. Aber es dauert insgesamt sechs Wochen, bis der Rücken wieder verheilt ist. Sechs Wochen, in denen der Schatz einen Halskragen tragen muss und nicht Raus darf.
Das geht gar nicht
Und noch ein Fall: Eine Katzenbesitzerin ruft an. Ihre Katze sei schon alt und magere seit ein paar Tagen ab. Sie denke, sei es Zeit, die Katze einzuschläfern. Meine Mädels klären die Dame auf, dass das rechtlich nicht so einfach ist mit dem Einschläfern. Das Tierschutzgesetz besagt, dass ein Tier nur erlöst werden dürfe, um unnötiges Leid zu vermeiden. Das erfordert aber erst einmal eine eingehende Untersuchung, um herauszufinden, ob wir dem Tier vielleicht anders helfen können. Die erste Frage, die die Dame stellt, ist: „Wieviel kostet das denn?“ Wir erklären, dass wir das erst sagen könnten, wenn wir wüssten, womit wir es zu tun hätten. Die Dame ist nicht begeistert, kommt jedoch mit dem Tier vorbei.
Was wir dann sehen, ist das reine Elend: Das kleine, schwarze Katzerl ist bis auf die Knochen abgemagert und zudem hochgradig ausgetrocknet. Die Augen liegen tief und sind vereitert. Das Fell ist stellenweise kahl, stellenweise total verfilzt. Der Mundgeruch des Schatzes ist schlimm. Die Untersuchung der Maulhöhle zeigt rottige Zähne mit massivem Zahnstein und schwer entzündetem Zahnfleisch. Der Anblick geht mir ans Herz. Ich taste den Bauch ab – nichts. Ich höre die Lunge ab – nichts. Ich höre das Herz ab und finde ein kleines flatterndes Organ, dass gar nicht schnell genug pumpen kann, um das durch die Austrocknung zu wenige Blutvolumen durch den Körper zu transportieren. Ich habe sofort einen Verdacht und frage, wann denn die letzte Blutabnahme des Tieres gewesen sei. Stolz erklärt mir die Dame: „Die war noch nie beim Tierarzt. Die war ja immer ganz gesund. All meine Katzen brauchen keinen Tierarzt, die sterben bei mir ganz natürlich.“ Als ich nach dem Alter frage, erklärt mir die Besitzerin, dass das Tier ja schon 14 sei und damit am Ende ihres Lebens. Ich widerspreche ihr – schließlich können Katzen durchaus 5-6 Jahre älter werden – und schlage eine Blutentnahme vor. Nun wird die Dame sauer. Sie wirft mir vor, unnötige, teure Untersuchungen durchführen zu wollen, obwohl doch klar sei, dass das Quälerei sei. Sie wolle das dem armen Tier nicht antun und würde sie nun wieder mitnehmen. Ich versuche es ein letztes Mal freundlich. Ich erkläre ihr, dass durchaus eine einfache Erkrankung wie Bandwurmbefall oder ähnliches diesen Zustand hervorrufen kann. Ich versuche, ihr im Guten zu sagen, dass ich sicher sei, dass das Tier bereits sehr lange in diesem Zustand ist. Ich erkläre ihr, dass einem Tier eine adäquate tierärztliche Behandlung zustünde und sie den richtigen Moment längst versäumt hätte.
Doch nun beginnt sie, mich zu beschimpfen und fordert mich auf, ihr die Katze zurückzugeben („Ich finde schon jemanden, der sie erlöst!“). Tja, und da ist es mit meiner Geduld vorbei. Mit klaren Worten sage ich ihr, dass sie ihre Tiere vernachlässige. Eine jährliche Untersuchung (am besten mit Impfung) sowie regelmäßige Wurmkuren bei Freigängern sind wichtig. Aber spätestens, wenn die Katze nicht mehr gesund aussieht, sei sie verpflichtet, das Tier einem Tierarzt vorzustellen. Die Besitzerin hört mir gar nicht zu, schimpft weiter von Geldgier und unnötiger Medizin. Schließlich lasse ich meine Assistenten unseren Übernahmevertrag ausdrucken. Nach kurzem Wehren unterschreibt die Besitzerin, dass sie das Tier an uns überstellt und auf jedes Besitzrecht verzichtet. Gleichzeitig forderte ich sie auf, ihr anderen Katzen hier vorzustellen, damit wir wenigstens diese rechtzeitig untersuchen können. Wütend stampfte die Dame dann aus der Praxis und murmelt dabei von Anwalt und Regress.
Wir aber untersuchen die Katze auf Herz und Nieren. Wir nehmen Blut ab und röntgen sie. Am Ende finden wir heraus, dass der Schatz eine Schilddrüsen-Überfunktion hat. Die Erkrankung kommt bei Katzen über 12 Jahre recht häufig vor und sorgt dafür, dass der gesamte Organismus in Alarmbereitschaft steht. Der Stoffwechsel arbeitet also deutlich schneller, das Tier ist schreckhaft und nervös. Dazu gehört natürlich Abmagerung und am Ende ein sehr schlechter Gesundheitszustand.
Das krasse ist, das ein einfaches Medikament den Zustand der Katze schnell verbessert. Schon nach zwei Wochen ist die Katze in einem deutlich besseren Zustand und nimmt schnell an Gewicht zu. Wir sanieren die Zähne und der Schatz findet ein neues Zuhause.
Und was ist die Moral?
Glauben Sie mir: Solche Geschichten können wir Tierärzte alle zuhauf erzählen – leider. Es grassieren viele Gerüchte, dass Tierärzte unnötig und Wucherer seien, die einem unnötige Medizin verkaufen wollten. Dagegen können wir nichts tun. Was wir aber tun können, ist aufklären und an den gesunden Menschenverstand unserer Tierbesitzer appellieren. Wir haben nicht das Recht, einfach über Leben und Tod unserer Tiere zu entscheiden. Aber wir haben die Pflicht, ihnen Leid zu ersparen. Und auch, wenn Sie das Leid nicht sehen, wir können es. Dafür sind wir ausgebildet, haben jahrelang studiert. Wir entdecken Probleme, lange bevor Sie sie erkennen. Und wenn Sie Ihrem Tier eine Krankheit wie Niereninsuffizienz, Herzversagen oder Zahnschmerzen schon ansehen, dann ist die Behandlung deutlich schwieriger als hätten wir sie vorher entdeckt – und oft auch teurer.
Deshalb unser Appel an Sie als Tierbesitzer: Wenn Sie als Eltern mit Ihrem Kind zum Arzt gehen oder Ihrem besten Freund zum Arztbesuch raten würden, dann kommen Sie bitte auch mit Ihrem Tier zu uns. Ob Mundgeruch, Wunden oder Lahmheit: Je früher wir die Behandlung einleiten, desto besser können wir helfen und desto schneller geht es dem Tier besser.
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