Manchmal ist unser Job frustrierend. Vor allem, wenn wir Kämpfe schlagen, von denen wir wissen, dass wir von Anfang an verloren haben.
Ein solcher Kampf erwartete mich im Sommer. Mein erster Besuch an diesem Tag führte mich an den Rand unseres Praxisgebietes.
Eine hochtragende Kuh lag fest. Festliegende Kühe sind immer dringend. Es bedeutet, dass eine Kuh nicht mehr aufstehen kann. Meistens passiert das kurz nach der Geburt. Dann sind die Ursachen normalerweise schnell gefunden und behoben, so dass die Kuh wieder aufstehen kann. Hat man diese Symptomatik jedoch ein paar Wochen vor der Geburt, sieht es schon anders aus. Der Grund ist dann oft nicht so leicht zu finden und das grundlegende Problem nicht so einfach zu behandeln.
Dieser Fall hatte noch eine weitere Komplikation: Die Kuh war ein Wiederholungstäter. Zwei Wochen zuvor war sie schon einmal festgelegen. Mit Infusionen konnten wir ihr damals helfen. Ob das diesmal wieder klappen würde?
Kaum war ich ausgestiegen begrüßte mich der Landwirt mit den Worten: „Ich glaub jetzt stirbts grad!“ Im Stall sah ich, dass es tatsächlich dramatisch war. Die Kuh lag in Brustlage (wahrscheinlich von Landwirt so platziert), der Kopf war nach vorne gestreckt und sie atmete schwer, wobei sie stöhnte und Schaum vorm Maul hatte. Oh Shit! In diesem Moment wusste ich, dass wir kaum eine Chance haben, doch was blieb mir?
Erste Notfallmaßnahme: versuchen, die Atmung zu erleichtern. Problem: das Medikament, das man dafür einsetzt, löst Fehlgeburten aus. Ich entschied mich dennoch, es zu geben. Denn das Kalb in dieser Kuh war zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon verloren.
Als nächstes bereitete ich Infusionen vor und nutze alles, was mein Auto hergab. Gleichzeitig schickte ich den Landwirt um Tücher mit kaltem Wasser zu holen. Die Kuh hatte nämlich eine Körpertemperatur von gut 42 Grad. Eine halbe Stunde kämpften wir so um das Leben des Tieres. Ohne wirklichen Erfolg. Zwischenzeitlich schien es eine leichte Besserung zu geben. Ein gemeiner kleiner Funke Hoffnung.
Schließlich hatte ich alles getan, was in meiner medizinischen Macht stand. Mehr konnte ich nicht tun. Ich packte also ein. Ich sprach mit dem Landwirt. Erklärte ihm, dass wir alles versucht haben, seine Kuh also sterben wird, während man das Tier im Hintergrund stöhnen hörte. Dann stellte er mir eine eigentlich ganz logische Frage: „Und wenn wir sie einschläfern?“ Und stellte mich damit vor ein moralisches Dilemma.
In Deutschland gibt es verschiedene Medikamente, welche für die Euthanasie von Tieren zugelassen sind. Die meisten davon fallen unter das Betäubungsmittelgesetz. Das heißt, für den Transport im Auto gelten strenge Vorschriften. Die Dokumentation, was mit jedem einzelnen Milliliter passiert, muss haarklein geführt werden. Es gibt nur ein einziges Euthanasiemedikament, das nicht zu dieser Kategorie gehört. Doch dieses darf nicht bei tragenden Tieren verwendet werden. Auf Grund der strengen Vorschriften für Betäubungsmittel, ist in unseren Praxisautos nur das Medikament vorhanden, das eben nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fällt. Das ich aber halt bei dieser Kuh nicht anwenden durfte.
Ich hatte also die Wahl, den Landwirt mit seiner sterbenden Kuh stehen zu lassen und damit gegen das Tierschutzgesetz zu verstoßen. Oder die Kuh mit dem zu erlösen, das mir zur Verfügung steht und damit das Tierarzneimittelgesetz zu brechen. Wie hätten Sie entschieden? Ich hab mich für das Wohl der Kuh entschieden.
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