Nutztierpraxis: Warum ist das nicht einfach Kleintierpraxis in groß
- Cowdoc
- 23. Mai 2022
- 3 Min. Lesezeit

Wo liegt der Unterschied zwischen Nutztier- und Kleintierpraxis?
Nun, zum einen ist da die rechtliche Seite. Die Tiere, die ich behandle, werden für die Produktion von Lebensmitteln gebraucht. Das heißt, ich darf nicht alle Medikamente bei allen Tieren anwenden. Und seit Anfang des Jahres darf ich Medikamente überhaupt nur noch so anwenden, wie es in der Packungsbeilage steht. Nicht mehr so, wie ich es in 10 Jahren Berufserfahrung gelernt und mir erarbeitet habe. Und ich muss wissen, wie lange die Lebensmittel, die durch dieses Tier gewonnen werden, nicht benutzt werden dürfen. Also viel Bürokratie.
Zum anderen ist da das Mensch-Tier-Verhältnis. Die Tiere, die ich behandle, sind keine Liebhabertiere, kein Hobby, das gekauft wurde, weil es süß oder lieb ist. Die Tiere, die ich behandle, bilden die Lebensgrundlage für ihren Halter. Ein Landwirt lebt von seinen Tieren, von den Produkten, die er durch sie und mit ihnen gewinnt. Ein Landwirt ist an der Gesundheit seiner Tiere interessiert. Ihm liegt viel an ihrem Wohl, denn nur durch gesunde Tiere bekommt man gute Lebensmittel. Doch ein Bauer muss auch rechnen. Das klingt hart? Ja, doch Hand aufs Herz: Würde man zu euch sagen, ihr arbeitet 7 Tage die Woche, egal ob Wochenende oder Feiertag, und dafür zahlt ihr dann bitte noch Geld drauf. Was würdet ihr sagen? Und doch soll man genau das von Landwirten erwarten?
Die Kosten steigen. Energiekosten, Dieselkosten, Dünger und Futter. Klar, auch Milch- und Fleischpreise sind etwas gestiegen. Aber bei weitem nicht in dem Maße, dass diese schon seit Jahren knappe Rechnung aufgeht. Also sind Behandlungskosten ein wichtiger Punkt in meiner täglichen Arbeit. Dabei ist auch noch die Frage nach der Rasse der Kühe wichtig, die behandelt werden. Ich arbeite in Süddeutschland. In meiner Gegend haben wir hauptsächlich kleine Betriebe, oft noch alte Betriebe in Anbindehaltung. Die vorherrschende Rinderrasse hier ist das Fleckvieh. Eine sogenannte Zweinutzungsrasse. Im Gegensatz zu den Schwarz-bunten Holstein-Friesian Kühen, die man in Norddeutschland hauptsächlich findet und die rein auf Milchleistung gezüchtet sind, sind Fleckviehkühe schwer. Sie geben zwar weniger Milch, aber am Ende ihres Lebens, haben sie einen hohen Schlachtwert. Und so kalt das klingen mag: Das muss ich bei der Behandlung berücksichtigen. Bei einer Holstein ist die Wartezeit auf Fleisch, die bei der Anwendung eines Medikamentes beachtet werden muss, meist nicht von Bedeutung, da der Landwirt durch eine Schlachtung der Kuh nur wenig Gewinn hätte. Bei den Fleckvieh ist das anders. Beginne ich eine Behandlung, die mit Wartezeit aufs Fleisch verbunden ist und der Kuh geht es nicht besser, so verliert der Bauer zur Milchleistung der Kuh und den Behandlungskosten auch noch den Schlachtwert. Das ist natürlich egal, wenn es sich um ein krankes Tier handelt im Sinne von Fieber, Allgemeinerkrankung, Infektion oder Ähnlichem. Ein solches Tier hat natürlich in der Lebensmittelkette nichts mehr verloren. Diese Frage ist aber wichtig, wenn eine Kuh zum Beispiel nach der Geburt nicht mehr aufstehen kann und der Verdacht einer Verletzung im Raum steht.
Und genau da liegt wohl einer der größten Unterschiede zwischen Kleintier- und Nutztiermedizin. In der Kleintierpraxis ist der Tod des Patienten das, was der Tierarzt/die Tierärztin unter allen Umständen verhindern will. In der Nutztierpraxis ist der Tod des Patienten natürlich auch der unschönste Ausgang, muss aber dennoch ein Teil der Kalkulation sein.
Ich möchte euch also bitten, wenn ihr meine Beiträge lest, genau das im Hinterkopf zu behalten. Die Zusammenarbeit zwischen Landwirt und Tierarzt ist auf viele Jahre und Jahrzehnte ausgelegt. Sie lebt von Vertrauen und gegenseitigem Respekt (meist zumindest). Denn nur so kann man das gemeinsame Ziel erreichen. Nämlich gesunde Tiere, die gesunde Lebensmittel produzieren und durch die ein Landwirt, ein Betrieb, eine Familie einen Lebensunterhalt bestreiten kann.
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